Hallo Lea, aktuell ist ja „new work“ in aller Munde – ihr sprecht jetzt von „gesundem Unternehmen“. Was versteht ihr denn darunter?
Einen ganzheitlichen Ansatz. Wir fokussieren nicht entweder das Unternehmen oder die Mitarbeitenden, sondern ganz klar beide Perspektiven. Ein Unternehmen mit ausgezeichneten Prozessen und Strukturen, aber ohne motivierte Mitarbeitende wird genauso wenig erfolgreich sein wie ein hoch-qualifizierter Mitarbeitender ohne ein gutes Team bzw. Unternehmen. Menschen formen Organisationen und Organisationen formen Menschen – das ist unsere Grundüberzeugung.
Das Thema „Gesundheit“ ist doch eigentlich keine Kernkompetenz von offstandards, oder?
Da muss ich klar widersprechen! Natürlich sind wir keine Ärzte oder Therapeuten, aber wir verstehen eine ganze Menge davon, wie Unternehmenskulturen Menschen prägen und umgekehrt. Und diese Prägung ist manchmal im wirklichen Wortsinn krank. Das zeigt sich an Indikatoren wie Fluktuation oder Krankenstand, oder auch den Ergebnissen bei Befragungen der Mitarbeitenden. Deshalb gehen wir hier ähnlich vor wie bei unserem Kernthema „Kulturentwicklung“: wir nehmen uns am Anfang wirklich Zeit, um den Kontext zu verstehen – wie sehen im Unternehmen die Rahmenbedingungen aus, die Strukturen, die Werte. Was ist überhaupt der „case for action“? Wie geht es den Mitarbeitenden – was hindert sie vielleicht daran, mit Freude an ihre Arbeit zu gehen? Das ist doch immer wieder komplett unterschiedlich. Und unseren Erfolg macht es aus, dass wir nicht über Einmalmaßnahmen kommen, um ein Pflasterchen hier und da zu kleben, sondern dass wir ein ganzheitliches Konzept erarbeiten. Mit dem Ziel, das Unternehmen „gesund“, also wettbewerbsfähig zu machen und den Mitarbeitenden ein Umfeld zu geben, das für sie in ihrer Arbeitszufriedenheit und Entwicklung gesund ist.
Das hört sich nach einem hohen Anspruch an Unternehmen an … und auch ein wenig nach Sozialromantik, oder?
Ich bin überzeugt, dass der Anspruch hoch ist, das Ergebnis allerdings auch eine nachhaltige Verbesserung darstellt – und zwar ganz klar auf Performance-Ebene. Und das ist dann eben keine Sozialromantik, denn ein gesundes Unternehmen ist ein wettbewerbsfähiges, effektives und reaktionsschnelles Unternehmen. Das ist ja häufig der Trugschluss, dass Gesundheit nicht messbar ist, dabei gibt es ganz harte Indikatoren wie Krankenstand oder Fluktuation, an denen man wunderbar die Verbesserung ablesen kann. Und die sich im Übrigen dann auch direkt auf die Produktivität und damit das Unternehmensergebnis auswirken. Für mich ist es dann eher eine Verschwendung, den berühmten Obstkorb aufzustellen oder das Bällebad zu bauen, aber nicht an den Werten und ungeschriebenen Regeln im Unternehmen zu arbeiten. In einem Unternehmen, in dem es immer noch als wichtiger Indikator gilt, wieviel Überstunden man anhäuft und wieviel Druck man aushalten kann, sind solche Maßnahmen reine Makulatur und werden dann meist auch gar nicht genutzt.
Aber ihr denkt doch dann sicher auch an konkrete Maßnahmen – wie können die denn aussehen?
Sicher brauchen wir konkrete Maßnahmen. Allein mit der Analyse und dem Konzepte bauen ist ja noch nichts verändert. Diese Maßnahmen sind aber immer ganz individuell zusammengestellt, überarbeitet und an den Kontext angepasst. Wir starten gern mit einem gemeinsamen Kick-Off, wo auf spielerische Weise beispielsweise bestimmte typische eher toxische Unternehmens-Alltags-Szenen im Ist-Zustand dargestellt werden. Das öffnet und wir können gleichzeitig ein gemeinsames Verständnis schaffen, warum wir woran arbeiten wollen. Im nächsten Schritt bieten sich Einheiten mit den Führungskräften an, beispielsweise zu Themen wie Resilienz, Growth Mindset, Achtsamkeit – jeweils in Bezug gesetzt zur eigenen Person als auch zu den zu führenden Mitarbeitenden. Und wir arbeiten gern und viel mit bestehenden Teams, um hier ganz konkret werden zu können. Auf individueller Ebene können wir dann ergänzen über Seminare, Selbstlerneinheiten und unsere Reminder-App. Die hat sich sehr bewährt, denn es ist ja eines, sich bestimmte Dinge vorzunehmen, das andere ist, das dann wirklich auch umzusetzen. Und wir werden gern auch aktiv, indem wir beispielsweise Laufgruppen und/oder gemeinsame Yoga-Sessions etablieren. Da haben wir unendlich viele Ideen und Vorschläge – aber es muss halt passen.
Du hast gerade die Führungskräfte angesprochen – sollen die jetzt Therapeuten für ihre Mitarbeiter*innen werden?
Oh nein, das ist damit wirklich nicht gemeint! Aber bei den neuen Formen der Arbeitsorganisation wie Home-Office, Workation und oft sehr flexiblen Arbeitszeiten wird es für Führungskräfte ja nicht wirklich einfacher, zu wissen, wie es ihren Leuten geht. Es ist schon anders, wenn ich virtuell führe, als die Leute jeden Tag persönlich zu erleben. Und für eine „gesunde Führung“ ist es enorm wichtig, zu wissen, wie ich auch auf Distanz gut beobachten, wahrnehmen und hinterfragen kann. Erst dann werde ich in der Lage sein, stimmig zu intervenieren und ein Klima zu schaffen, in dem Mitarbeitende sich psychisch sicher und gesehen, gleichzeitig aber auch motiviert und gefordert fühlen.
Welche Leute bei offstandards machen das?
Wenn wir tatsächlich an unseren Claim „standard is not enough!“ glauben – und das tun wir! – dann ist es selbstverständlich, dass wir auch hier auf Expertise und eigene Erfahrung bei den Berater*innen setzen. Nach einer fundierten Auftragsklärung und Klarheit zu Zielen und Rahmenbedingungen wählen wir daher aus unserem wunderbaren Team die Personen mit dem besten Fit und der höchsten Motivation zu genau diesem Auftrag aus. Mittlerweile sind es um die 80 Experten und Expertinnen, die mit uns arbeiten. Das ist ein unglaubliches Asset, das wir da an Know-How, Kreativität und Umsetzungskraft haben. Und je nach Schwerpunkt und Volumen des Auftrags stellen wir dann ein Team zusammen aus z.B. Expert*innen aus dem new work/future work-Kontext, Experten aus dem Gesundheitsmanagement und den systemischen Beratern. Ergänzt dann durch unsere Trainer*innen in unterschiedlichen Themen, wie z.B. „Gesund führen“, „Resilienz“, u.v.m. – je nachdem, was die spezifische Situation erfordert.
Gibt es bei diesem Produktfeld „Gesundes Unternehmen“ ein wissenschaftliches Fundament, auf das ihr euch stützt?
Selbstverständlich! Basis ist hier für uns die Salutogenese nach Aaron Antonovsky, der das Konzept in den 70ern entwickelt hat. Was uns so daran gefällt, ist, dass er Gesundheit nicht als einen Zustand oder einfach auch als Abwesenheit von Krankheit versteht sondern als Prozess. Das ermöglicht eine aktive Sichtweise und verhindert es, eine Opferhaltung einzunehmen. Im Zentrum steht die Frage, wie Gesundheit entsteht und das Ziel die gesunden Anteile und Ressourcen in Menschen zu stärken. Antonovsky hat es in dem sog. Kohärenzgefühl zusammengefasst, das drei Aspekte hat: das Gefühl der Verstehbarkeit, das Gefühl der Handhabbarkeit und das Gefühl von Sinnhaftigkeit. Und wer unsere Arbeit kennt, weiß, dass uns diese Aspekte immer leiten. Danke für das Interview Lea!