Geralds Corner: „Putins Lektion“


In W. Putin begegnet uns „Führung“ gerade in seiner hässlichsten Form: respektlos, selbstreferentiell, egoman, brutal, voller negativer Emotionen, Feindbilder und Rachegelüste. Keine Frage, dass wir diese Haltung zutiefst verabscheuen und ablehnen. Die westliche Staatengemeinschaft wirkt schockiert und überrumpelt. Plötzlich steht alles in Frage, was jahrelang so selbstverständlich schien.

Wer schon einmal ein Konfliktmanagement-Training gemacht hat, wird die Übung „Gewinnt so hoch ihr könnt!“ kennen. Es geht um die Entscheidung, ob ich mit anderen Spielpartnern kooperiere oder konkurriere und um die Auswirkungen dieser Entscheidungen. Erkenntnis: nur wenn sich alle Spielpartner auf gemeinsame Regeln verständigen und diese auch verlässlich einhalten, gewinnen alle. Wenn nur einer ausschert, werden alle anderen zu Verlierern und der „Spielverderber“ ist der einzige Gewinner – mindestens kurzfristig gesehen.

Möglicherweise kennt Putin diese Dynamik aus der Spieltheorie. Aber was bedeutet das für unsere so sehr auf Kooperation, Dialog und Gerechtigkeit ausgelegte Kultur? Können wir bestehen vor der Schnelligkeit, Konsequenz, Intoleranz und Brutalität einer autoritären Interpretation von „Führung“? Was passiert, wenn Verträge, Regeln, Vereinbarungen gebrochen werden oder ein gemeinsames Werte-Fundament verlassen wird? Empörung wird nicht reichen. Können wir Despoten mit Sanktionen in die Schranken weisen? Wie mächtig kann sich eine Kultur verteidigen, die „Macht“ als etwas Unmoralisches und Anachronistisches betrachtet?

Und was bedeutet das für unsere Branche? Müssen Führungstrainings zukünftig die Frage der Konfliktbereitschaft gegenüber „Saboteuren“ neu bewerten? Haben wir in der Annahme, dass sich alle an die Spielregeln halten, „Führung“ und „Kooperation“ zu soft, zu moderativ, zu naiv interpretiert? Sind unsere Vorstellung von Konfliktmanagement und Win-Win-Lösungen zu romantisch?

Jedenfalls macht Putins Verhalten deutlich, dass der Fortbestand unserer Werte und Prinzipien keine Selbstverständlichkeit ist. Sie brauchen einen robusten Schutz und eine kritische Grundhaltung, die Diskurs von Destruktivität unterscheiden kann und entschlossen reagiert, wann immer die Spielregeln infrage gestellt werden. Das könnte in der Tat ein Akzent sein, der zwar nicht neu ist, aber aktuell gar nicht mehr konservativ-unmodern, sondern hochrelevant und notwendig erscheint.