Kulturentwicklung und strukturelle Veränderung mit Filiz Yesil & Nadine Röske
Hallo Nadine, hallo Filiz, ihr verantwortet ja das Produkt „Kulturentwicklung“. Kann man Kultur überhaupt entwickeln? Und entwickelt sie sich nicht auch ohne offstandards? Nadine: Klar, Kultur entwickelt sich ständig, sie bleibt nie stehen. Aus unserer Sicht gehört „Kulturentwicklung“ zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren überhaupt. Allerdings sehen wir auch, dass dieser Faktor von vielen Unternehmen sehr unterschätzt wird, weil er nicht so unmittelbar zu beeinflussen ist, wie z.B. Prozesse zu optimieren. Unser Angebot bezieht sich auf eine strategische, also planvolle Kulturentwicklung. Unsere Message an die Kunden ist: Lasst „Kulturentwicklung“ nicht einfach laufen, sondern entwickelt eure Kultur genauso gezielt, wie z.B. eure Mitarbeiter*innen, Prozesse oder Produkte. Was ist eigentlich Kultur? Filiz: Ganz einfach: Kultur ist das, was Menschen zusammen machen. Uns interessiert dabei vor allem wie sie das machen, also: welche Werte werden -bewusst oder unbewusst- gelebt, wie wird kommuniziert und agiert, welche Glaubenssätze und Symbole gibt es -solche Fragen führen uns in den „kulturellen Maschinenraum“ des Unternehmens. Den kann man nicht in Flow Charts beschreiben. Und trotzdem ist er hochrelevant für die Performance des Unternehmens. „Kulturentwicklung“ klingt häufig nach „Schönwetter-Changemanagement“. Ihr sagt aber, dass es hier um Performance geht. Filiz: Absolut! Schau dir z.B. einmal die aktuelle Diskussion zum Thema „Quiet Quitting“ oder die Auswirkungen der verstärkten Home Office-Arbeit an. Diese Kulturentwicklungen haben extrem starke Auswirkungen auf die Identifikation mit dem Unternehmen, die Zusammenarbeit, Führung und Motivation der Mitarbeiter*innen. Das sind alles Faktoren, die letztlich auf die Performance einzahlen. Und wie geht ihr konkret vor, wenn ihr Kulturentwicklung macht? Nadine: Erst mal geht es darum die Kultur eines Unternehmens zu verstehen. Da gibt es keinen Standard. Wir machen also erst mal eine Bestandaufnahme: Strukturen, Artefakte, Symbole, Historie, Werte, Ziele – all diese Elemente sind wichtig, um zu verstehen, wie dieses System funktioniert. Das besondere an unserer Vorgehensweise ist, dass wir diese Analyse gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen im Unternehmen machen. Damit wird diese Bestandsaufnahme schon zu einem Teil der Kulturentwicklung. Es geht ja primär nicht darum, die Berater*innen schlauer zu machen, sondern dem Unternehmen einen Spiegel zu bauen, in dem sie ihre Kultur betrachten und verstehen können. Klingt ein bisschen theoretisch… Nadine: …ist es aber gar nicht. Beispiel: wir haben Filme erstellt, wir nennen das „Sounding“, in denen wir Mitarbeiter*innen aller Funktionen und Ebenen nach ihrer Sicht auf die Kultur des Unternehmens fragen. Der Zusammenschnitt der Mitarbeiter*innen-Statements sagt nicht nur verbal, sondern auch non-verbal eine Menge über die Kultur des Unternehmens aus. So ein Dokument bringt eine Menge Energie ins System. Es kann z.B. in Kick Offs, Betriebsversammlungen, Teambesprechungen und Workshops genutzt werden, um eine breite Sensibilität für das Thema zu erzeugen. Wir brauchen diese Energie, um eine maximale Beteiligung zu erreichen. So eine Vorgehensweise ist typisch für offstandards: wir sind kein Berater-Closed-Shop, wollen auch immer mit den Leuten arbeiten. Und das macht auch eine Menge Spaß! Geht es nicht am Ende immer um das Gleiche: Noch mehr rausholen aus den Leuten? Filiz: Das Ziel, erfolgreicher zu werden ist ja nicht unanständig. Die Frage ist auf welchem Weg das gelingt. Uns geht es immer um ein maximales Involvement und eine nachhaltige Wirkung. Das bekommst du nicht mehr allein durch Kostensenkung oder Re-Engineering hin. Die „Leute“ geben nur ihr Bestes, wenn sie sich im Unternehmen fair und respektvoll behandelt fühlen und zwar dauerhaft und nicht als Teil einer Kulturentwicklungs-Kampagne. Es geht also auch um Glaubwürdigkeit. Deshalb legen wir auch in jeder Kulturentwicklung ein besonderes Augenmerk auf Kommunikation, Dialog, Feedback und Transparenz. Heißt Kulturentwicklung, dass wir vorher falsch waren? Nadine: Im Gegenteil – nur manche Muster, die uns als Unternehmen in der Vergangenheit vielleicht erfolgreich gemacht haben, sind eben nicht mehr passend für den aktuellen Kontext und die Herausforderungen, vor der ein Unternehmen jetzt steht. Filiz: Wertschätzung für das, was war und anerkennen, was geleistet wurde ist wichtig, um überhaupt etwas Neues angehen zu können und sich auf kulturelle Veränderungen einzulassen. Wenn ich höre, dass ich falsch war, dann kann ich nicht positiv auf Neues zugehen. Das wertet ab und führt zu Widerständen und Blockaden. Wie misst man eigentlich Erfolg in Kulturentwicklungs-Prozessen? Nadine: Die Beteiligungs-Quote ist z.B. ein wichtiger Indikator für die Akzeptanz der Kulturentwicklung. Wir schauen uns da z.B. an, ob Feedback-Workshops oder Dialogveranstaltungen angenommen werden. Wir messen auch die Entwicklung von Indikatoren wie z.B. Zufriedenheit, Zusammenarbeit und Motivation. Mitarbeiterbefragungen sind da häufig ein gutes weil etabliertes Instrument. Wer macht das bei offstandards, das ist ja alles sehr komplex und klingt nach hohen Anforderungen an die Berater*innen? Filiz: Unsere Berater*innen kommen alle aus der systemischen Beratung. Das hilft enorm, um nicht gleich in Problemlösung oder Bewertung zu verfallen, sondern einen ganzheitlichen, eben systemischen Blick auf das Unternehmen einzubringen. Da unterscheiden wir uns schon von den klassischen Expertenberater*innen, die eher von der rationalistischen Perspektive auf Organisationen blicken. Manchmal irritiert das einen Kunden, weil er von uns Problemlösungen erwartet. Uns geht es aber um die nachhaltige Stärkung der Organisation – nicht um Feuerwehreinsätze. Da brauchst Du als Berater*in schon Standing, Mut und die Fähigkeit, sehr klare Feedbacks zu geben und sich zu positionieren. Die Berater*innen müssen kein bestimmtes Alter haben – allerdings sollten sie zum Unternehmen und den dort wichtigen Erfahrungshorizont passen. Wie sorgt ihr dafür, dass das Pendel nicht zurückschlägt, wenn ihr weg seid? Nadine: Das ist sehr wichtig. Die „alten Muster“, die man eigentlich schon überwunden glaubte, kehren gerade in Krisenzeiten häufig wieder zurück. Deshalb ist die Etablierung von neuen Formaten, die für die Kulturentwicklung stehen ein wesentlicher Nachhaltigkeits-Faktor. Das sind z.B. Formate wie Retros, Dialogrunden, Team-Workshops, aber auch ein kontinuierliches Monitoring der Entwicklung z.B. im Rahmen eines regelmäßigen Steuerkreises. Dasalles muss eine starke Verknüpfung zum Alltag haben. „Angeflanschte“ Formate, die keinen Nutzen im Alltag erzeugen, werden schnell wieder eingestellt. offstandards begleitet auch bei strukturellen Veränderungen – Was ist da anders? Nadine: Struktur ist ja ein Teil von Kultur, deshalb erfinden wir unseren Ansatz hier nicht neu. Bei struktuelklen Verändeungen haben wir oft keine positive Change-Story. Die Veränderung wird als etwas gesehen, was unfreiwillig geschieht und von aussen initiiert wird. Deshalb sind die Emotionen und Widerstände oft sehr stark und dominant. Es geht dann darum, durch intensive Kommunikation, Dialog und Transparenz die Veränderungen zu erklären, Ängste abzubauen und die Gestaltungskorridore zu erkennen. Da sind dann auch häufig erfolgskritische Qualifikationen erforderlich, wie z.B. spezifische Führungs- und Kommunikationsskills. Die Schnitmenge zur Kulturentwicklung ist groß, die Akzentsetzung ist aber schon anders. Und wie schon gesagt: Kultur entwickelt sich immer – auch bei strukturellen Veränderungen. Seid ihr der emotionale Reparaturbetrieb? Filiz: Das würde ja bedeuten, dass mit den Emotionen etwas nicht stimmt. So eine Bewertung liegt uns fern. Im Gegenteil: Wir arbeiten mit den Emotionen. In den Emotionen liegt ja die Energie für die Kulturentwicklung – nicht in Folien oder in Plakaten! Wir schaffen Räume, in denen Engagement, Reflektion und Gestaltung möglich werden und ermutigen auch, diese Räume zu nutzen – das können wir gut. Wir begleiten die Menschen auf ihrem Weg in`s Neue. Welches Feedback macht euch glücklich? Nadine: Wenn Leute ein, zwei Jahre später auf mich zukommen und mir sagen, dass sich langfristig wirklich etwas zum Besseren verändert hat. Die Aussage „wir haben uns als Unternehmen weiterentwickelt, sind was angegangen und sind über uns hinausgewachsen“ – das bedeutet mir schon sehr viel! Danke für das Interview, Nadine und Filiz!